FRANZ BURKHARDT. ATELIER À VENDRE - 18.08. - 07.11.2021 im Sprengelmuseum
Anlässlich des Erscheinens des 76. Bandes der von der Stiftung Niedersachsen herausgegebenen Reihe „Kunst der Gegenwart aus Niedersachsen“, hat der Künstler Franz Burkhardt eine installative Arbeit mit Zeichnungen in der Einblickshalle des Sprengel Museum Hannover installiert. Der Künstler arbeitet mit Trockenbauelementen, Sperrholz, und Farbe und baut einen begehbaren Raum im Raum, der eine Ateliersituation sowie eine inszenierte Arbeitssituation beschreibt.
Franz Burkhardt arbeitet als Bildhauer und Zeichner, der versucht, beide künstlerischen Bereiche in seinen Werken zusammenzuführen. Die aufwendig gebauten Versatzteile von Fassaden und Räumen sind zugleich Präsentationsfläche für seine zeichnerischen, humorvollen und satirischen Arbeiten, die der genauen Beobachtung der alltäglichen Umgebung entstammen.
Franz Burkhardt (*1966 in Wolfenbüttel, lebt in Belgien) studierte 1987 bis 1993 an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig bei HP Zimmer, Emil Cimiotti und Johannes Brus. Seine Arbeiten sind in nationalen und internationalen Ausstellungen vertreten.
AUSSTELLUNG
Für das Sprengel Museum Hannover hat Franz Burkhardt unter dem Titel „Atelier à vendre“ (Atelier zu verkaufen) in der großen Einblickshalle des Museums ein kleines Gebäude mit Flachdach entworfen, das auch von außen betrachtet werden kann. Durch die grüne Stahltür in der heruntergekommenen Backsteinfassade tritt man ein in einen scheinbar schon in die Jahre gekommenen Arbeitsraum mit schmuddeligen Wänden unter Neonbeleuchtung, ausgestattet mit zerkratzter und fleckiger Möblierung, einem alten Waschbecken und vergilbtem Heizungsradiator. Der Arbeitstisch scheint erst vor kurzem verlassen worden zu sein, eine Zettelwirtschaft aus Texten, Bildern und Papieren an der Wand darüber dient wohl der künstlerischen Inspiration. Was sich nebenan in dem angebauten größerem Raum mit dem geschlossenen Tor verbirgt, bleibt ein Geheimnis: Er ist nicht begehbar. Ist es ein Lagerraum oder der eigentliche Atelierraum? Für welche Art von Kunst? Bei Franz Burkhardts installativen Arbeiten bleiben immer offene Fragen. Seine Interieurs, Wände oder Gebäude sind immer täuschend echt der Wirklichkeit in Originalgröße nachgebildet. Erst bei ganz genauem Hinsehen bemerkt man, dass sie aus Sperrholz und Pappe, Styropor und Trockenbauelementen gefertigt sind, farblich durchgestaltet wie eine polychrome Skulptur. Denn alles ist totaler Fake und potemkinsche Kulisse.
Franz Burkhardt arbeitet nicht nur als Bildhauer und Installationskünstler, sondern zuallererst als Zeichner. Zunächst waren seine aufwendig gebauten Versatzteile von Fassaden reine Präsentationsfläche und Kontext für seine humorvollen und satirischen Zeichnungen. Den meist kleinformatigen, figurativen Bleistiftzeichnungen sieht man auch seine Zusatzausbildung als naturwissenschaftlicher Illustrator an. Äußerst exakt ist z. B. in der Zeichnung von 2019 mit dem Titel „SMS“ die beringte Brieftaube auf ihrem kleinen Holzpodest mit Bleistift gearbeitet, dezent ergänzt durch Höhungen von Aquarell, Gouache und Wasserfarben. Ebenso wie seine schmuddeligen Räume wirken auch seine Zeichnungen von weiblichen Akten in lasziven Posen, Alltagsgegenständen und Tieren durch die vergilbte Patina der Klebestreifenreste und Flecken auf dem gelblichen Papier als seien sie seit Jahrzehnten gealtert. Seine trivialen Bildmotive nimmt Burkhardt aus altem Bildmaterial, Flohmarktfunden, 50er-Jahre-Pin-ups oder der genauen Beobachtung seiner alltäglichen Umgebung.
Überraschende Wendungen erhalten die banalen Zeichnungen durch den als Unterschrift oder Sprechblase zugefügten Text im Bild. Z. B. ist unter die Brieftaube mit altmodischer Schreibmaschine getippt: „I wanted to be a hippie but I forgot how to love!“ (Ich wollte ein Hippie sein, aber habe vergessen, wie man liebt!). Wie bei dem Internetphänomen des Meme wird einem vorgefundenen Bild durch den Text eine neue Interpretationsebenebeigegeben. Eine weitere Irritation verursacht Franz Burkhardt mit dem Bildtitel, der die Assoziationen des Betrachters oftmals in eine dritte Richtung lenkt. Die Herkunft der Sprüche, Texte und Banalitäten ist ebenfalls unklar. Sind sie erfunden, sind es Zitate?
Erstmals thematisiert Franz Burkhardt mit „Atelier à vendre“ eine (seine?) Künstlerexistenz in einer Installation. Ist es eine Nachbildung seines eigenen Ateliers? Warum wird es zum Verkauf angeboten – aufgeben, umziehen, verbessern? Die inszenierte Arbeitssituation eines Künstlers als Sinnbild für gelebtes Leben erinnert in Hannover natürlich sofort an Kurt Schwitters‘ zerstörten „Merzbau“, ebenfalls ein aus Fundmaterialien konstruierter Atelier- und Präsentationsraum, der bis heute Inspiration für zahlreiche Künstler*innen ist. Nicht zu Unrecht nennt Guido Magnaguagno, einer der Autor*innen der neuen Publikation zu Franz Burkhardt, seine Installationen in Anlehnung an Schwitters „Franzbauten“.
BIOGRAFIE
Franz Burkhardt (*1966 in Wolfenbüttel, lebt in Montzen, Belgien) studierte von 1987 bis 1993 Freie Kunst an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig bei HP Zimmer und Emil Cimiotti, Meisterschüler bei Johannes Brus. An der Rijksuniversiteit Limburg, Maastricht, absolvierte er ein Postgraduiertenstudium für naturwissenschaftliche Illustration. Stipendien führten ihn nach New York, Lomé (Togo), Düren und Shanghai. Seine Arbeiten sind in nationalen und internationalen Sammlungen und Ausstellungen vertreten.
AUTOR*INNEN DER PUBLIKATION
Sabine Duschmalé ist Kunstliebhaberin in Basel.Michael Kumpfmüller ist Schriftsteller. Seine Romane erscheinen bei Kiepenheuer & Witsch, zuletzt „Ach, Virginia“ (2020).Guido Magnaguagno ist freier Ausstellungsmacher. 1980–2000 Kurator und Vizedirektor Kunsthaus Zürich. Anschließend bis 2009 Direktor Museum Tinguely Basel. Lebt im Tessin.Annett Reckert ist Kuratorin und Autorin. In der Kunsthalle Bremen ist sie Kuratorin für moderne und zeitgenössische Kunst mit dem Schwerpunkt Werke auf Papier des 19. und 20. Jahrhunderts. Harriet Zilch ist Kunsthistorikerin, Autorin und Kuratorin an der Kunsthalle Nürnberg. Kuratorin der Ausstellung: Karin Orchard, Sprengel Museum Hannover.
© 17.08.2021 Matthias Falk - Hannover_fotografie