Ein Eintauchen in die Stadtwildnis ist jetzt auf eine ganz besondere Art möglich: Auf dem „Gipfel“ des Lindener Berges bietet der neue Hörspaziergang „Asselquasselwildniswalk“ Informationen zur wilden Fauna und Flora. Prof. Dr. Beate Jessel, Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz (BfN), und Ulrich Prote, Fachbereichsleiter Umwelt und Stadtgrün der Landeshauptstadt Hannover, haben den neuen Audioguide heute (9. Juli) offiziell eröffnet. Zugleich zogen sie Bilanz zum Pilotprojekt „Städte wagen Wildnis“. In dessen Rahmen hat die Landeshauptstadt Hannover auf zehn ausgewählten Projektflächen im Stadtgebiet diverse Maßnahmen ergriffen, um mehr Wildnis im urbanen Raum zuzulassen.
„Um die Vielfalt der Arten und Lebensräume in den Städten zu erhöhen, brauchen wir Leuchtturm-Projekte wie ‚Städte wagen Wildnis‘“, lautete die Bewertung von BfN-Präsidentin Beate Jessel. „Es zeigt eindrucksvoll, dass es sich lohnt, die Natur in der Stadt zu stärken – nicht nur für die biologische Vielfalt, die sich hier nun entfalten und entwickeln kann, sondern auch für die Menschen, die diese Vielfalt auf ganz unterschiedliche Art und Weise erfahren können: Innovative Maßnahmen sorgen dafür, dass die neue städtische Wildnis fasziniert – sei es mit dem jetzt eröffneten ‚Asselquasselwildniswalk‘ oder mit dem Wildnis-Wagen-Infomobil.“
Ulrich Prote erläuterte die getroffenen Maßnahmen, die dem Artenschutz und der Biodiversität dienen und das Ziel verfolgen, den Anteil naturnaher Grünflächen im Stadtgebiet zu erhöhen: „Auf den Projektflächen kommen die Mähfahrzeuge nur noch selten und nur dann zum Einsatz, wenn es zur Erhaltung von bestimmten Zielarten notwendig ist. Durch ein neu entwickeltes Pflegekonzept und das Zulassen einer Eigendynamik hat sich an den Orten eine ganz besondere, vielfältige Stadtwildnis entwickelt, die gleichzeitig ein wichtiger Baustein der Naherholung ist.“ Der Fachbereichsleiter nannte konkrete Erfolgsbeispiele: „An der Fösse in Badenstedt wurden durch die extensive Beweidung verbesserte Lebensbedingungen für Vögel geschaffen. Und auf der Brache „Am Struthofs Kamp“ in Stöcken profitieren die Heuschrecken von den trockenen Standortbedingungen auf dem sandigen Boden.“
Spaziergang zum Selbsterkunden
Der neue Lindener Hörspaziergang „Asselquasselwildniswalk“ ist ein Rundweg zum Selbsterkunden. Die sechs Stationen können einzeln oder verbunden als Hörspiel erlebt werden. Auf einem circa 45-minütigen Rundweg werden die Hörer*innen begleitet von einem ungewöhnlichen Paar, das über den Wert von Stadtnatur diskutiert: die Wildnisassel, ein gesprächiges fiktives Bodenlebewesen, und Johann Hinrich Egestorff, geschäftstüchtiger Begründer der Industrialisierung Lindens. Dabei zeigt sich schnell, dass die Wildnis am Lindener Berg ein „echtes Stadtkind“ ist, in der sich trotzdem (oder gerade deshalb) Frösche und Fledermäuse wohlfühlen.
Der „Asselquasselwildniswalk“ lässt sich über das Internet unter
www.hannover.de/staedte-wagen-wildnis auf das Smartphone laden. Besucher*innen vor Ort finden den Zugang außerdem über den QR-Code, der auf dem Informationsschild an der hölzernen Wildnisstele angebracht ist. Der Hörspaziergang wurde von Stefanie Krebs konzipiert, die bereits viele andere Hörspaziergänge für die Stadt entwickelt hat.
Pilotprojekt zur Erhöhung der Artenvielfalt
„Städte wagen Wildnis“ ist ein 2016 gestartetes Pilotprojekt der Landeshauptstadt Hannover gemeinsam mit den Städten Dessau-Roßlau und Frankfurt am Main. Ziel ist es, die innerstädtische Artenvielfalt zu erhöhen, der Stadtbevölkerung ein Naturerleben vor der Haustür zu ermöglichen und die Vielfalt urbaner Freiräume zu steigern. Auf den zehn ausgewählten Projektflächen im Stadtgebiet Hannover wird mehr Wildnis zugelassen, wovon Pflanzen, Tiere und nicht zuletzt die Menschen profitieren. Das Projekt „Städte wagen Wildnis“ wurde von 2016 bis 2021 im Bundesprogramm „Biologische Vielfalt“ durch das BfN mit Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit finanziell gefördert. In Hannover wurden etwa 1.348.000 Euro eingesetzt. Davon betrug der Fördermittelanteil des Bundes rund 964.000 Euro, circa 384.000 Euro hat die Landeshauptstadt Hannover als Eigenanteil in das Projekt eingebracht.
Die „Wildnis“-Flächen sind jeweils durch Holzstelen gekennzeichnet, auf denen sich orangefarbene Asseln aus Metall „niedergelassen“ haben. Das Projekt „Städte wagen Wildnis“ fügt sich in die kommunale Biodiversitätsstrategie ein, die die Landeshauptstadt Hannover seit Jahren erfolgreich verfolgt. Lebensräume sollen geschützt und Artenvielfalt in der Stadt gefördert werden. Weitere Informationen dazu bietet das Internet unter
www.hannover.de/staedte-wagen-wildnis
und
www.staedte-wagen-wildnis.de.
Hintergrund: „Wildnis“-Fläche auf dem Lindener Berg
Linden blickt auf eine spannende historische Entwicklung zurück: Aus dem ehemaligen Dorf wurde im Zuge der Industrialisierung um 1800 ein florierender Geschäftsstandort. Als bedeutende historische Person prägte vor allem Johann Hinrich Egestorff das Erscheinungsbild von Linden. Der Abbau von Kalkstein resultierte in einer Zerklüftung des Lindener Bergs. Die spätere Aufschüttung des Steinbruchs führte dazu, dass der Boden bis heute steinig und karg sowie zum Teil durch Altlasten beeinträchtigt ist.
Durch die Verfüllung und die südexponierte Lage ist der dortige Naturraum ein trocken-warmer Sonderstandort mit zum Teil noch vorhandenen kleinflächigen standorttypischen Vegetationsbeständen: im Wesentlichen „Milder Mauerpfeffer“ (Sedum sexangulare). Im Jahr 2020 wurden dort auch mehrere Individuen der „Blauflügeligen Ödlandschrecke“ (Oedipoda caerulescens) entdeckt, eine wärmeliebende und typische Art für Standorte mit hohem Offenbodenanteil.
Der gesamte Grünzug wird extensiv gepflegt, eine intensive Mahd erfolgt lediglich entlang von Wegen. Mittig vom Grünzug liegen die „Wilden-Inseln“. Dort wird in großzügigen Schleifen um die vorhandenen Bäume gemäht, die restliche Wiese darf sich über mehrere Jahre frei entwickeln. Auf der Spitze des Lindener Berges wird wenig eingegriffen, einzelne Bestände der invasiven „Kanadischen Goldrute“ werden dezimiert, um hier einer artenreichen Pflanzenvielfalt die Chance zur dauerhaften Ansiedlung zu geben.