Ministerpräsident: Rote Mappe gehört zum Biorhythmus Niedersachsens
Niedersächsischer Heimatbund überreicht den Jahresbericht 2021 zur Heimatpflege
NHB-Präsident und Ministerpräsident tauschen ROTE und WEISSE MAPPE 2021 aus
Zum zweiten Male in Folge kann der Niedersachsentag des Niedersächsischen Heimatbundes pandemiebedingt nicht wie gewohnt stattfinden. Doch wenigstens der Höhepunkt des Tages konnte am 8. Mai in kleinem, aber repräsentativem Rahmen einer Pressekonferenz vollzogen werden, die Übergabe von ROTER und WEISSER MAPPE 2021 zwischen dem Präsidenten des Niedersächsischen Heimatbundes (NHB), Prof. Dr. Hansjörg Küster, und dem Niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil.
In seinem kurzen Statement fragte NHB-Präsident Küster nach den Möglichkeiten einer solidarischen Heimatliebe: „Ich denke, diese Solidarität können wir gar nicht genug in den Vordergrund schieben. In Heimatliebe können sich sehr viele Menschen treffen, ein Gespräch beginnen und führen. Über dieses Thema gelingt Integration, um die es uns immer wieder gehen muss.“ Denn, so Küster weiter, „nach vielen Monaten des Verstummens des Gespräches müssen wir sicher in vielen Punkten neu lernen, Solidarität, Gemeinschaft im Gespräch zu leben. Wir müssen und wollen uns mit Musik, mit Literatur, mir Kunst, mit Natur, mit Landschaft und mit Heimat inhaltlich auseinandersetzen, und zwar in Gemeinschaft mit anderen Menschen.“
Der Niedersächsische Heimatbund stellt alljährlich seine Rote Mappe mit dem Wunsch zusammen, dass die staatlichen Rahmenbedingungen ihn in seinen Bemühungen um eine solidarische Heimatpflege unterstützen. Zugleich möchte der NHB das Land darin unterstützen, eine solidarische Kultur und Heimatliebe zu fördern.
Eine immer größere Bedeutung gewinnen gerade in Folge der furchtbaren Seuche die digitalen Kommunikationswege. Hinter Schlagworten wie „Public History“, „Citizen Science“, „Digitalität“ usw. verbergen sich gerade auch in der Heimatpflege Kommunikationsmöglichkeiten, mit denen gesamtgesellschaftlichen Veränderungen wie dem „demographischen Wandel“ kombiniert mit der notwendigen Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse begegnet werden kann. Dazu braucht eine Organisation wie der Niedersächsische Heimatbund eine entsprechende neue Form von Förderung, um Menschen miteinander zu vernetzen.
Auch wenn „der Staat“ zur Umsetzung vieler konkreter Maßnahmen vom NHB um Unterstützung gebeten wird ist klar, dass vielfach eigentlich die kommunale Ebene angesprochen ist. Doch die Landesregierung wird seitens des NHB dazu aufgefordert, den Handlungsrahmen vorzugeben, in dem es keineswegs nur um Verbote geht, sondern um das demokratische und kulturelle Einwirken auf Akteure, auf Privatpersonen oder Kommunen, auch einmal auf Dinge zu verzichten, die der Kultur schaden. Die ROTE MAPPE 2021 bietet dazu wieder eine Reihe von Beispielen, wie der Rahmen dazu gesetzt werden kann.
NHB-Präsident Küster griff als ein Beispiel die frühen Produktionsanlagen der Porzellanmanufaktur in Fürstenberg heraus. Dieser Gebäudekomplex im Eigentum der kleinen Gemeinde Fürstenberg ist ein Denkmal von anerkannt internationalem Rang, liegt aber seit Jahren im Dornröschenschlaf, was dem Erhalt nicht gut tut. Doch die Kommune als Eigentümerin ist mit Erhalt und Inwertsetzung des Komplexes überfordert, auch fehlt ein tragfähiges Nutzungskonzept. NHB-Präsident Küster schlug vor: „Wir sprechen völlig zu Recht viel von Nachhaltigkeit, wissen aber nicht, dass die Ursprünge des Nachhaltigkeitsgedanken aus Niedersachsen stammen, vom Forstmeister von Langen. Er hat nicht nur die Sollingforsten vermessen und ein Konzept zur nachhaltigen Nutzung entwickelt, sondern auch die Porzellanmanufaktur in Fürstenberg aufgebaut. Warum nutzt das Land seine noch erhaltenen Bauten in Fürstenberg nicht, um dort ein interdisziplinäres Zentrum für Nachhaltigkeit aufzubauen?“
NHB-Präsident Küster schloss sein Statement mit den Worten: „Die Landesregierung sollte, das ist unsere große Bitte, ihrer Aufsichtspflicht über nachgeordnete Behörden, Landkreise und Gemeinden nachkommen. Und sie sollte immer wieder die Nachdenklichkeit darüber fördern, wie gewachsene Strukturen der Natur und Kultur in eine gute Zukunft begleitet werden können.“
Ministerpräsident Weil hatte schon in seiner Begrüßung darauf hingewiesen, dass der Austausch der ROTEN und WEISSEN MAPPEN zwischen Landesregierung und Heimatbund seit Jahrzehnten eine feste Institution im Jahreskalender sei. Weil: „Die ROTE MAPPE gehört zum Biorhythmus Niedersachsens!“ In seiner Antwort auf Küsters Statement bestätigte der Ministerpräsident zwar die Notwendigkeit des Schutz der Kulturlandschaft, doch müsse im Zeitalter des Klimawandels dieser gegenüber dem Ausbau der erneuerbaren Energien, insbesondere der Windkraft, dann und wann Vorrang gegeben werden. Auch die finanzielle Situation des Landes, vor allem nach Corona, sei zu beachten.
Die ROTE MAPPE ist seit 1960 der alljährliche Jahresbericht zur Heimatpflege, in dem sich der Niedersächsische Heimatbund mit Anregungen, Lob und Kritik zu grundsätzlichen Problemen und Einzelfällen aus allen Teilbereichen der Heimatpflege an die Landesregierung, aber auch an die kommunalen Gebietskörperschaften wendet.
In der 62. ROTEN MAPPE 2021 behandelt der NHB auf 42 Seiten in 39 größeren und kleineren Beiträgen sechzehn Themen zum Natur- und Umweltschutz, vier zur Kulturlandschaft, acht zur Denkmalpflege sowie fünf zur Bodendenkmalpflege, außerdem drei zur Regionalgeschichte und weitere drei zu Niederdeutsch und Saterfriesisch.
Die Landesregierung hatte sich im Vorfeld wieder intensiv mit den angesprochenen Fällen befasst und wie seit 1977 in der WEISSEN MAPPE wieder zu den Kritiken, Anregungen, Fragen und Forderungen, aber auch den lobenden Worten des NHB in seiner ROTEN MAPPE Stellung bezogen. Ministerpräsident Weil überreichte die WEISSE MAPPE dem Präsidenten des Niedersächsischen Heimatbundes, Professor Hansjörg Küster, mit einem Dank für die stete kritische Begleitung des NHB und seiner rund 400 Mitgliedsvereine und -organisationen zum Wohle der Heimatpflege in Niedersachsen, auch wenn die Landesregierung nicht alle Kritikpunkte teile.
ROTE und WEISSE MAPPE können beim Niedersächsischen Heimatbund angefordert werden und stehen in Kürze auch als Download auf der Webseite des NHB, www.heimatniedersachsen.de, zur Verfügung.
Niedersachsens Bürgerinnen und Bürger sind nunmehr erneut dazu aufgerufen, dem Heimatbund bis zum 31. Oktober des Jahres ihre Beiträge zu Fragen und Problemen in den Themenfeldern Allgemeine Heimat- und Kulturpflege, Naturschutz und Landschaftspflege, Kulturlandschaft, Denkmalpflege, Bodendenkmalpflege, Regionalgeschichte und -kultur in Schulen, Museen und öffentlichen Einrichtungen sowie Niederdeutsch und Saterfriesisch einzureichen. Sie werden fachlich sorgfältig begutachtet und für die ROTE MAPPE 2022 zusammengestellt, die dann beim 102. Niedersachsentag in Lüneburg am 20. und 21. Mai 2022 der Landesregierung überreicht wird.
Hier noch einige Details zu Beiträgen der ROTEN MAPPE 2020:
In der ROTEN MAPPE 2021 behandelt der NHB auf 42 Seiten in 39 größeren und kleineren Beiträgen drei allgemeine Themen sechzehn Themen zum Natur- und Umweltschutz, vier zur Kulturlandschaft, acht zur Denkmalpflege sowie fünf zur Bodendenkmalpflege, außerdem drei zur Regionalgeschichte und weitere drei zu Niederdeutsch und Saterfriesisch.
Der NHB macht vor allem auf die folgenden Beiträge zu den diesjährigen Schwerpunkten aufmerksam:
Das alles beherrschende Thema im Natur- und Landschaftsschutz Niedersachsens war 2020 das durch die Krefelder Studie zum Insektensterben angestoßene Volksbegehren „Artenvielfalt Niedersachsen Jetzt“. „Der Niedersächische Weg“ (DNW) führte schließlich zu einem vielversprechenden Kompromiss zwischen der Landesregierung, dem Landvolk und den Naturschutzverbänden Nabu und BUND (201/21). In nur einem halben Jahr wurde ein umfassendes Paket von rechtlichen und vertraglichen Maßnahmen sowie ihre Finanzierung auf dem Weg gebracht, das im Zusammenspiel von Landwirtschaft und Naturschutz die Erhaltung der heimatlichen Artenvielfalt sichern soll. Der NHB war an dem Prozess beteiligt; viele seiner, in den vergangenen ROTEN MAPPEN vorgetragenen, Forderungen haben in dem Kompromiss Eingang gefunden, wie die Erneuerung und Fortschreibung der „Roten Listen“ (202/21: Bild 202_2), die Reduktion des Flächenverbrauchs (204/21), die Förderung der ökologischen Landwirtschaft (206/21) und die Erhaltung biotopvernetzender Landschaftselemente (208/21).
Ein weiterer thematischer Schwerpunkt der ROTEN MAPPE gilt der Situation in den niedersächsischen Nationalparken und angrenzenden Gebieten. So hält es der NHB angesichts der wiederholt vorkommenden Schiffshavarien dringend geboten, die Schiffssicherheit vor und in dem Nationalpark „Niedersächsisches Wattenmeer“ zu verbessern, insbesondere durch eine Verlegung des Schiffsverkehrs weiter seewärts (214/21: Bild 214/21). Zudem wird die Landesregierung gebeten, mehr Druck auf das Bundesverkehrsministerium auszuüben, die seit vielen Jahren überfällige Novellierung der Befahrensverordnung vorzunehmen und in der Verordnung die Störungen durch das Kitesurfen im und am Nationalpark Wattenmeer durch Ausweisung von Kitezonen zu begrenzen (213/21).
Im Harz macht den Wäldern des Nationalparks und des angrenzenden Naturparks zunehmend die Klimakrise zu schaffen (210/21). Den zunehmenden Dürreperioden und dem dadurch begünstigten Borkenkäferbefall fallen große Waldflächen zum Opfer; die „Aufräumarbeiten“ sollten nicht zu zusätzlichen und nachhaltigen Schäden an den Schutzgebieten führen. Fortschritte sind bei der Renaturierung der Sieber, dem einzigen größeren, nicht durch eine Talsperre verbauten Harzbach zu verzeichnen (212/21). Nach jahrzehntelangem Bemühen, konnte an zwei Wehren die ökologische Durchgängigkeit wieder hergestellt werden. Gefahr droht auch weiterhin der Gipskarstlandschaft im Südharz (252/21: Bild 252/21). Der NHB wendet sich gegen die Pläne, den sogenannten „Gipskompromiss“ der 1990er Jahre einseitig aufzukündigen und weitere Flächen der bedeutsamen Natur- und Kulturlandschaft dem Gipsabbau zu opfern.
Gefahr droht auch dem Schloss Schelenburg und der sie umgebenden, parkartigen Landschaft im Landkreis Osnabrück: Eine 380 kV-Freileitung soll in deutlicher Sichtweite an der Schlossanlage vorbeigeführt werden (250/21). Die Verunstaltung der historisch gewachsenen Kulturlandschaft könnte nach Ansicht des NHB durch eine andere Trassenwahl oder durch eine Erdverkabelung vermieden werden und so der denkmalrechtliche Umgebungsschutzes des Schlosses gewahrt bleiben. Ein weiterer Beitrag zum Kapitel Kulturlandschaft in der ROTEN MAPPE greift die Förderung regionaltypischer, gefährdeter Nutztierrassen auf (253/21). Hierzu bittet der NHB die Landesregierung, den bürokratischen Aufwand für Kleinzüchter zu reduzieren und empfiehlt, diese Rassen verstärkt zur Pflege von historischen Kulturlandschaften einzusetzen.
Auch wenn sich derzeit viel tut in Sachen Denkmalpflege, mit den Beratungen in den Fachkreisen des Forums „Das System Denkmalpflege für die Zukunft“ oder dem erfreulich stetigen Wachsen des „Digitalen Denkmalatlas Niedersachsen“, bedarf dennoch die Denkmalpflege größerer Unterstützung des Landes. Es reicht nicht, Denkmale zu schützen und zu dokumentieren, sie bedürfen auch der Pflege, Eigentümer brauchen mehr Unterstützung bei der Unterhaltung. Denkmalpflege darf sich auch nicht allein auf das einzelne Objekt beziehen und nicht allein auf die unter Denkmalschutz gestellten und damit formal gegen Veränderung und Abbruch geschützten Bauten, sondern ganz besonders auch auf die vielen nicht im Denkmalverzeichnis gelisteten regionaltypischen Bauten von historischer Relevanz. Diese machen erst zusammen mit den denkmalgeschützten Bauten ein Stadt- oder Ortsbild aus. Sie sind deshalb nicht weniger wichtig und wertvoll und sind damit auch keineswegs einfach disponibel. Ihr Abriss sollte nur dann erfolgen, wenn dieser nach Prüfung aller Alternativen und auch der Bedeutung für das Gedächtnis eines Ortes unvermeidlich erscheint. Regionale Baukultur ist zu stärken, auch um Ressourcen zu schonen - was wiederum dem Klima nützt -, damit die vielfältigen Siedlungslandschaften Niedersachsens ihre Gesichter bewahren und nicht zu gesichtslosen Vorstadtsiedlungen verkommen (Oldenburg 305/21: Bild 305/21, und Gödringen-Sarstedt 306/21).
Ebenso bedarf die niedersächsische Schlösserlandschaft (302/21) mehr Aufmerksamkeit wie Gärten und Parks (allgemein 303/21, Wolfenbüttel 306/21, Worpswede 307/21) oder die Denkmale der Industriekultur: Die frühen Produktionsanlagen der Porzellanmanufaktur Fürstenberg sind nur ein Beispiel (304/21: Bild 304/21). Zur Bewältigung dieser Aufgaben brauchen die Unteren Denkmalschutzbehörden in der Baudenkmalpflege wie der Archäologie mehr Unterstützung, doch die vom NHB seit langem angemahnte Bestandsaufnahme als Grundlage einer zielgerichteten Verbesserung steht noch immer aus (301/21 bzw. 351/21 und 352/21).
In der Bodendenkmalpflege (Archäologie) gibt es ebenfalls großen Unterstützungsbedarf vor Ort. Auch der notwendige Regelungsbedarf bei der Zuordnung von Denkmalen der Erdgeschichte wird angesprochen (350/21), das Verhältnis von Denkmalschutz und Naturschutz sollte stärker und ausgewogener in den Fokus geraten (353/21) und die wichtige Teilwissenschaft der Numismatik (Münzkunde) ist für die Archäologie zu stärken (354/21).
Nach wie vor bedarf es zur Bearbeitung und Pflege der Regionalgeschichte, vor allem zur Beratung und Unterstützung der vielen ehrenamtlichen Regional- und Lokalforscherinnen und -forscher einer Stärkung der staatlichen wie der nichtstaatlichen Archive (401/21). Vor allem das überlieferte historische Film- und Fotomaterial muss besser gesammelt, bewahrt und beforscht werden: Niedersachsen braucht ein Landesmedienarchiv (402/21)! Auch die Industriegeschichte Niedersachsens erfährt keine ausreichende Beachtung (403/21). Große Fortschritte wurden in den letzten Jahren in der Förderung der Regional- und Minderheitensprachen Niederdeutsch und Saterfriesisch erzielt. Herausragend ist dabei die Initiative von Plattdeutsch in der Pflege. Ein allgemeiner Überblick im Lande wäre jetzt hilfreich (502/21). Auch in den elektronischen öffentlich-rechtlichen Medien sollten die Sprachen noch besser vertreten sein (503/21).
Die ROTE und WEISSE MAPPE können beim Niedersächsischen Heimatbund angefordert werden und stehen als Download auf der Webseite des NHB, www.heimatniedersachsen.de, zur Verfügung.
Fotos: © 08.05 Matthias Falk - hannover_fotografie